Vor einigen Tagen habe ich eine sehr spannende Erfahrung gemacht und ich hatte so einen richtigen "Aha"-Moment. Ich war an diesem Tag eher müde, hatte keine Lust so richtig zu kommunizieren und war daher in einem Beobachtungs-Modus. Damit meine ich diesen Zustand, wenn du keine Lust auf Austausch mit anderen hast und mit einer verschlossenen Miene dasitzt, damit ja keiner auf die Idee kommt, dich anzusprechen😜 Es ist mir auch gut gelungen, da sich wirklich niemand getraut hat (oder Bock dazu hatte) mich anzusprechen.
Und da sass ich nun in meiner "Sprich-mich-nicht-an"-Blase und beobachtete dabei das Geschehen um mich herum. Eine Szene sollte mir noch für längere Zeit in Erinnerung bleiben bzw. bei mir noch Stunden und Tage nachhallen.
Ich beobachtete eine Zweier-Gruppe, die sehr angeregt miteinander sprach. Okay, einer sprach angeregter als der andere🤭. Dem anderen ging es nämlich nicht gut an diesem Tag und war daher eher müde und abgekämpft. Wie gut konnte ich nachvollziehen, wie er sich fühlte, da es auch bei mir Tage gab, wo ich am liebsten zu Hause im Bett geblieben wäre. In diesem Zustand wird einem auch so schnell alles zu viel. Meine Aufmerksamkeit richtete sich also auf das Gespräch der beiden und ich hörte, wie der Mann (dem es nicht gut ging) vom anderen mit gut gemeinten Tipps überhäuft wurde. Ich spürte, dass der Mann dabei immer mehr in diese leidenschaftliche Art überging, wo man die eigene Sicht der Dinge UNBEDINGT mit der ganzen Welt teilen möchte, weil man überzeugt ist, dass man die richtige Lösung gefunden hat. Dieser Zustand ähnelt dann einem Redeschwall, der nicht gebremst werden kann und es dann nur noch darum geht, die eigene Meinung weiterzugeben. Wenn man unterbrochen wird in diesem Redefluss, dann wird man richtig ungeduldig und kann überhaupt nicht damit umgehen, wenn der Tipp dann noch in Frage gestellt wird.
Kennst du diese "du musst"-Sätze? Diese Sätze verfolgen mich. Du musst dich mehr bewegen, du musst dich mehr entspannen, du musst mehr lachen, du musst mehr Freude haben, weniger kompliziert sein. Ich musste richtig lernen, dass ich gar nichts MUSS. Ich darf, wenn ich will. Und wenn ich nicht will, dann eben nicht. Und dann gibt es noch die liebste Freundin, die dir alle ihre neuen Kenntnisse von ihrem letzten Selbstfindungs-Workshop mitteilen möchte und dann im gleichen Zuge sagt, dass es dir auch gut tun würde, wenn du dies und jenes ausprobierst. Man lässt sie dann gewähren, weil man sie mag, weil man weiss, dass sie es gut meint. Aber nach dem Gespräch fühlt man sich gerädert und und wie von einem Traktor überfahren. Wie sagt man der Freundin, die man gerne hat, dass man gerade keine Ratschläge möchte? Du siehst, Ratschläge sind ein heikles Thema, egal ob es sich dabei um das private oder das berufliche Umfeld handelt.
Ratschläge kreieren oft eine Trennung auf der Beziehungsebene. Die Augenhöhe geht verloren.
- Reva Wagner -
Dieser Satz hat so viel Wahres dran. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich - als ich damit gestartet habe, mich selbst zu reflektieren und neue Wege zu prüfen - meine Schwester komplett mit meinen Ratschlägen zugedeckt habe. Ich hatte das Gefühl, dass diese Infos allen helfen werden. Ich ging von mir selber aus und übersah dabei einen ganz wichtigen Punkt. Sie hatte gar nie nach einem Tipp gefragt. Ich hatte von mir aus den Entscheid getroffen, dass sie jetzt meinen wichtigen Ratschlag braucht. Wenn man es so anschaut, dann ist es sogar ein wenig respektlos. Aber - zu meiner Verteidigung😜 - ich wusste es zu diesem Zeitpunkt nicht besser. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, dass alle Menschen ihren eigenen Weg zu gehen haben. Dass sie an einem komplett anderen Punkt im Leben stehen und vielleicht auch noch komplett andere Interessen haben. Im Artikel "Ratschläge sind auch Schläge - kleine Turbulenzen in der Kommunikation" von Michaela Albrecht bringt sie es gut auf den Punkt. Sie schreibt "ich empfinde ungebetene Ratschläge als Grenzverletzung - jemand trampelt in meinen Vorgarten. Es ist so, als ob der andere mir nicht zutraut, selbst auf die Lösung zu kommen".
Da sind wir auch wieder bei einem so wichtigen Punkt. Das Wort "ungebeten". Es wurde nicht nach einem Ratschlag gefragt. Diese ungebetenen Tipps, die oft so rechthaberisch wirken, diese sind hier gemeint. Wir kennen ja alle diese "Besserwisser" und "Recht-haben-Woller" in unserem Umfeld, oder?🤐 Marshall Rosenberg umschreibt diesen Drang, die eigene Meinung weitergeben zu "müssen" sehr gut im folgenden Zitat.
Willst du Recht haben oder glücklich sein? Beides geht nicht.
- Marshall Rosenberg -
Nun gut, aber was machen wir jetzt mit diesen Ratschlägen? Vor allem wenn man - wie ich - sensibel und oft auch so richtig harmoniebedürftig ist? Ich habe mich da mit Reva Wagner ausgetauscht, die sich mit dem Thema "Gewaltfreie Kommunikation" intensiv auseinander gesetzt hat. Ich finde es nämlich sehr schwierig bei anderen Menschen Grenzen zu setzen. Vor allem, wenn es sich um eine Person handelt, die ich mag oder ich weiter in Beziehung bleiben möchte. Danke Reva für den wertvollen Austausch und die Tipps, die ich euch nicht vorenthalten möchte:
Tipp 1: Sich selber beobachten, wenn man wieder unbedingt einen Ratschlag erteilen möchte👁️🗨️
Es ist schon Mal ein grosser Schritt, wenn dir überhaupt bewusst wird, dass du wieder ungefragt einen Ratschlag erteilen willst. Du kannst dich dann fragen, ob du einen Auftrag hattest, Ratschläge weiterzugeben. Oder du fragst dich, aus welchem Grund du jetzt unbedingt deine Meinung weitergeben möchtest? Braucht du in diesem Moment die Bestätigung, dass du in dieser Sache sehr gebildet bist und viel darüber weisst?😜 Das ist Selbstreflektion, da lernst du dich so schnell selber besser kennen und dies bringt dir dann auch oft Momente, wo du über dich schmunzelst. Aber denk' bitte daran, dass du deinen inneren Kritiker entlarvst, der absolute Perfektion anstrebt und keine Schwächen an dir duldet. Wir sind keine Heiligen. Wir verhalten uns alle auch Mal trotzig, wütend oder sind auch egoistisch. Wichtig ist, dass du es bemerkst, dann kannst du mit der Zeit anders handeln und deine Ratschläge für dich behalten.
Tipp 2: Wenn du denkst, dass dein Ratschlag jetzt sehr wichtig ist, dann stell die Frage "Willst du meine Meinung wissen?"🙋♀️
Bevor du dir diese Frage stellst, solltest du vielleicht zuerst Tipp 1 durchgehen, um herauszufinden, was die Beweggründe dafür sind, dass es jetzt deiner Meinung nach so wichtig ist, deinen Rat weiterzugeben. Wenn du zum Schluss gekommen bist, dass es wichtig ist, dann kannst du das Gegenüber fragen "Willst du meinen Rat in dieser Sache hören?" oder "Interessiert dich meine Meinung dazu?" So gibst du dem anderen die Möglichkeit, nein zu sagen. Gut, auch dann ist es manchmal für das Gegenüber schwierig, nein zu sagen, aber du merkst vielleicht an der Mimik oder am Ton des "Ja" , ob das Gegenüber wirklich interessiert ist.
Tipp 3: Wenn jemand dich mit Ratschlägen überfährt, setze Grenzen, steh für dich ein💪
Dieser Punkt ist so, so wichtig. Lerne "Nein" zu sagen und Grenzen zu setzen. Dabei gilt zu unterscheiden, ob das Gegenüber dir auf Beziehungsebene wichtig ist oder nicht.
Wenn dir das Gegenüber egal ist, dann kannst du dich im Gespräch (z. Bsp. bei einem Apéro) abwenden und eine andere Personengruppe aufsuchen oder du kannst versuchen das Thema zu wechseln. Versuche deine wertvolle Energie nicht zu lange für etwas aufzuwenden, was dir nicht wichtig ist und dir nichts bringt. Deine Zeit ist so kostbar, du kannst selber wählen, wohin du deine Energie lenkst.
Herausfordernd wird es, wenn es sich um eine Person handelt, die dir wichtig ist und/oder du auch weiterhin mit ihr in Kontakt bleiben möchtest. Eine Möglichkeit ist es, im ersten Schritt die andere Person anzuerkennen, in dem du z.B. sagst "Wow, ich sehe dass du Expertin auf diesem Gebiet bist". Oft steckt nämlich eine Unsicherheit dahinter, wenn man so tut, als sei man Experte auf einem Gebiet. Man versucht mit diesem Wissen die Unsicherheit zu kompensieren, in dem man sich über den anderen stellt. Durch die Anerkennung kann man somit der anderen Person zeigen, dass man ihr Wissen respektiert und sie sieht. Im nächsten Schritt ist es dann aber wichtig ehrlich und offen zu sagen, dass man für sich bereits einen anderen Weg gefunden hat oder dass man nicht weiter an diesem Thema interessiert ist. Diese Grenze bzw. diesen Stopp zu kommunizieren erfordert Mut, ohne Frage. Reva Wagner bezeichnet dies bereits als "hohe Kunst der Kommunikation".
Eine weitere Möglichkeit, wenn du weiterhin in Kontakt bleiben möchtest, ist es direkt auf die Beziehungsebene zu gehen und zu sagen, was in dir selber gerade los ist. Das heisst du kannst ganz offen z.B. Folgendes sagen: "Hey, ich weiss nicht, wie es dir geht, aber ich merke gerade, dass aktuell keine Verbindung zwischen uns da ist". So kannst du dem Gegenüber signalisieren, dass er dich gerade ungebeten mit Ratschlägen überfährt und nicht merkt, dass du nicht danach gefragt hast.
Ich erinnere mich an so viele Situationen, wo ich mit Tipps überhäuft wurde. Jeder sogenannte "Experte" wusste es besser und wollte mir seine Meinungen über Krisen und Burnout im Speziellen aufdrücken. Ich habe für mich gelernt, dass ich diese Meinungen an mir abprallen lasse, wenn sie mir nicht helfen. Ich vertraue da auf mein Gefühl, dass ich am Besten weiss, was mir gut tut. Funktioniert nicht immer, aber mit jeder Erfahrung wirst du sicherer darin, dir zu vertrauen. Jahrelang habe ich Ratschläge von anderen versucht umzusetzen, ohne zu hinterfragen, ob sie FÜR MICH stimmen. Und vor lauter Tipps - die sich dann auch gegenseitig widersprachen - ging es mir immer schlechter und ich verlor komplett das Gefühl für meine Intuition. Frag' dich also immer wieder:
➡️ Tut mir dieser Rat gut? Fühlt es sich für mich richtig an?
Wenn ja, dann setz es um. Wenn nicht, dann lass' es los und vertrau dir selber. Wir tragen alle Antworten in uns. Wir dürfen einfach wieder lernen unserer eigenen Intuition zu vertrauen.
Das Thema "Grenzen setzen" ist eine der grössten Herausforderungen für mich selber. Wie geht es dir dabei? Vielleicht willst du mir eine grosse Freude machen und einen kleinen Kommentar da lassen oder auch ein ❤. Danke, dass du dir Zeit nimmst, meine Beiträge zu lesen.
Satuli💕
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